Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) by Nolte Ulrike

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) by Nolte Ulrike

Autor:Nolte, Ulrike [Nolte, Ulrike]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-05-16T22:00:00+00:00


Inzwischen waren sie fast am Artushof angelangt. Die Burg, die der Strom in ihre Gedanken malte, erhob sich massiv und imposant über die Dächer des mittelalterlichen Städtchens. Randori steuerte auf die Zugbrücke zu, die von bewaffneten Landsknechten bewacht wurde. Sie hatten ihre Speere gekreuzt und ließen nur geladene Gäste und VIP’s eintreten. Die Kapitänin schob kurz ihren Schleier zurück, lächelte den hastig salutierenden Wachen zu und schlenderte mit Dschinn in den Burghof.

Im Inneren war es tiefe Nacht. Ein glitzernder Sternenhimmel hing über dem offenen Platz, der nur von flackerndem Fackelschein beleuchtet war. Lange Tische und Bänke bogen sich unter gebratenem Geflügel, Honigmet, Früchtebrot und gespicktem Wild. Auf einem offenen Feuer wurde ein ganzer Ochse gedreht, dabei stoben Funken in die Dunkelheit. Spielleute und Gaukler unterhielten die Gäste, die sich derbe Scherze zuschrieen und abgenagte Knochen über ihre Schultern warfen. Man amüsierte sich prächtig.

Im Hintergrund des Gelages waren Hochsitze für den König und sein Gefolge aufgebaut. Dschinn schaute sich nach Designermeister Newton um und brauchte nicht lange zu suchen. Gerade erhob sich seine massige Gestalt von einem prunkvollen Stuhl gleich neben der Königin.

„Ah, wir sind noch rechtzeitig angekommen, um einen Teil der Show mitzuerleben“, sagte Randori, die im Strom das Programm durchgeblättert hatte.

Newton trat mit gemessenen Schritten auf den Platz vor der Adelstribüne, und die Stimmen ringsherum verstummten. Der Designermeister war eine dramatische Erscheinung. Er trug einen schwarzen Mantel mit einem hohen Kragen aus Rabenfedern. In seiner Hand hielt er einen knorrig gewundenen Eichenstab voller Runenschnitzereien.

„Merlin“, murmelte Randori ihrer außerirdischen Begleitung ins Ohr. „Der mächtigste Magier aller Zeiten, wenn man der Artussage glaubt. Eine besonders arrogante Rollenwahl für einen Designer. Aber ich bin sicher, Newton wird uns einen Auftritt liefern, der seinem Ehrgeiz angemessen ist.“

Wie aufs Stichwort verneigte sich Newton vor dem Königspaar und hob seinen Zauberstab. Das Ende begann zu glühen, und Newton malte feurige Schriftzeichen in die Luft. Dann rief er seltsame, beschwörende Worte in die Stille, und über ihm verblassten die Sterne, bis die Dunkelheit absolut war. Vor der Burgmauer schien sich ein schwarzer Wirbel zu öffnen, ein Loch im Gewebe der Realität. Dschinn spürte einen starken Wind an ihrem Körperkleid zerren, und viele Gäste hielten sich unwillkürlich an den Tischen fest. Man hatte das Gefühl, als könne der Sog den ganzen Hof verschlingen. Dann kam aus der Tiefe eine goldgrüne Gestalt empor. Schemenhaft konnte man glänzende Schuppen und schlangenhafte Bewegungen erahnen. Plötzlich stülpte sich das schwarze Nichts nach außen und warf einen wütend fauchenden Drachen in den Burghof. Das Tier war so real, dass die Zuschauer erschrocken zurückfuhren, als es einen Feuerstoß in ihre Richtung spie. Selbst Dschinn blinzelte kurz, um sich zu versichern, dass der Drache nur im Strom existierte. Tatsächlich war der Platz bis auf den dramatisch gestikulierenden Newton völlig leer. Die Bankettgäste hatten sich nun ebenfalls an diese Tatsache erinnert, sie setzten sich verlegen und mit nervösem Gelächter wieder hin.

Dschinn stellte sich auf die Zehenspitzen, um das Tier besser sehen zu können. Kurz überlegte sie, ein paar Zentimeter zu wachsen und über die Menge hinzuwegschauen, aber entschied, dass es zu auffällig war.



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